Wer ich bin? (Aus Sicht der anderen)
Ein fröhlicher, manchmal liebevoller, hilfsbereiter, optimistischer Mensch voller Elan, positver Austrahlung und Freude. Der andere mitreißen kann, der Großes im Leben erreichen will. Etwas launisch manchmal und in letzter Zeit vielleicht häufiger mal unzufrieden, aber das liegt bestimmt an dem stressigen Job, sagt sie zumindest immer.
Wirkt dann und wann etwas zwiegespalten, als wäre sie auf einmal ein anderer Mensch. Traurig, still, zurückgezogen. Schlecht drauf. Aber gut, jeder hat mal nen schlechten Tag. Oder auch ein paar mehr. Sieht ganz nett aus und die meisten scheinen sie zu mögen. Aber man hat immer den Eindruck, man weiß nicht was von ihr echt ist und was gespielt. Irgendwie passt das äußere Bild, der Anschein den man bekommt, nicht zu dem was sie wirklich zu sein scheint. Man kann aber nicht genau sagen woran das liegt.
Wer ich wirklich bin?
Ein Wrack. Eine verlogene Null. Ich bin Himmel und Hölle.
Ich bin Elan, Esprit, Energie.
Motivation, Mut, Melancholie.
Spirit, Sensibel, Sprunghaft.
Verlogen. Verloren. Verlassen.
Und so traurig. So allein. So überflüssig. Auf dieser Welt, wo ich wie in dem Musikvideo „Vermillion Part1“ langsam, zäh durch diese angepasste Menschenmasse vorwärtskrieche, wie durch dickflüssigen Schleim.
Schaut mich nicht an, bitte, ich gehöre nicht hierher. Angewiderte Blicke treffen mich. Blicke, die mir klarmachen, dass ich anderen Menschen den Platz wegnehme. Wertvolleren Menschen.
Wenn ihr mich alle nicht seht, bin ich vielleicht einfach nicht mehr da. Muss mich verletzen, mir weh tun, muss es tun. Um etwas zu spüren. Um mich zu bestrafen. Um diesen Wahnsinn zu ertragen. Am Ende.
Sonne? Ertrage ich nicht. Lachen? Höre ich nicht. Liebe? Spüre ich nicht. Aufmunternde Worte? Dringen nicht zu mir durch. Lohnen nicht. Der Atem wird langsamer. Wird mein größter Traum war? Höre ich endlich auf zu atmen? Zu leben?
Doch dann, ganz plötzlich, wache ich wieder auf. Bin jemand. Bin da. Bin wertvoll. Tränen des Glücks, der Liebe, der Lebensfreude tropfen aus meinen Augen.
Sehe Regenbögen, Sonnenaufgänge, Schmetterlinge. Bunte Lichter, beeindruckende Zitate, höre die schönste Musik. Kann mich gar nicht mehr retten vor bezaubernden Eindrücken. Die Luft könnte nicht klarer sein, das feuchte Gras kitzelt unter meinen nackten Füßen, der kühle Regen perlt über meine Haut. Spüre die warmen Sonnenstrahlen, rieche duftende Frühlingsblumen. Der Wind umspielt mein Haar. Geschmack von Himbeeren im Mund. Von einer heißen Tasse Kaffee. In meinem Kopf wird alles so klar.
Warum habe ich das alles nicht früher bemerkt? Doch, das habe ich. Aber warum habe ich es verloren?
Ich kann wieder denken, endlich. Verstehe komplizierte Berechnungen. Spreche 0 und 1. Es ist, als könnte mein Verstand die Welt aufsaugen. Ich bin die Konzentration. Ich bin das Leben.
Weiß nicht wohin mit all dieser mitreißenden Energie, den ganzen Plänen, den Zielen, werde hastiger, hastiger, schnell, schneller, ich spreche zu mir, los, schaffe alles, erledige deine Träume, deine Wünsche, deine ToDoListe, bevor sie dich wieder verlässt, diese rastlose Energie, diese brilliante Klarheit.
Es kippt, die Stimmung kippt, erst langsam, dann immer schneller, die schlaflosen Nächte voller Ruhelosigkeit, zwanghafter Abarbeitung der Listen reißen mich im Strudel wieder hinunter in die Dunkelheit. Die Erschöpfung, bleierne Müdigkeit kippt über mir zusammen. Der schwarze Strom reißt mich hinab. Und es wird Nacht. Und ich bin am Ende. Wieder.
Frage mich dann nicht nach meinen Wünschen. Ich habe nur diesen einen. Es soll alles vorbei sein, endlich aufhören. Aufhören, mich zu zerstören, aufhören in Gedanken durch meinen Kopf zu wirbeln. Ich will diese Stimmen nicht mehr hören, diese Selbstgespräche nicht wiederholen, von diesen Zweifel nicht mehr zermürbt werden, diese Schmerzen nicht mehr spüren. Hört endlich auf, seid doch endlich still, bitte. Ich halte das nicht mehr aus. Wo ist die Stille, das absolute Nichts, ohne Ansprüche, ohne Vorwürfe, ohne Erwartungen die ich immer immer immer erfüllen will.
Und daran zugrunde gehe. Nicht an euren Ansprüchen. An meinen eigenen.
Ich bin mein größer Feind. Und weiß soviel darüber, warum das alles so nicht richtig ist. Und kann es doch nicht ändern. Kann es nicht, schaffe es nicht, will es nicht. Will das Leid, brauche es. Kenne es. Bin doch hier zu Hause.
Jetzt, so kurz vor dem Ende meines Lebens, lässt der Druck endlich wieder nach. Ich brauche nicht mehr zu kämpfen. Ich gebe auf. Es ist kein Müssen mehr da. Kein Sollen. Kein Wollen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den wundervollen Sonnenuntergang. Und weiss, dass jetzt wieder die gute Zeit beginnt.